Azra Frlj ist Psychologin, Traumaberaterin (zptn) und Gestalttherapeutin in Ausbildung. Seit 2021 leitet sie unsere Partnerorganisation Progres in Bosnien und Herzegowina. Im Interview spricht sie über die besorgniserregenden Entwicklungen im Land und über ihre Arbeit, die trotz politischer Spannungen und finanzieller Unsicherheit weitergeht.

Liebe Azra, Bosnien und Herzegowina steht seit einigen Jahren wieder häufiger in den Schlagzeilen. Wie nimmst du die Situation im Land zurzeit wahr?

Aus Sicht der Zivilgesellschaft ist die Lage nach wie vor sehr besorgniserregend. Die politische Instabilität nimmt zu und bedroht demokratische Institutionen und bürgerliche Freiheiten. Bosnien und Herzegowina steht 2025 vor der schwersten Krise seit dem Dayton-Abkommen. Die Führung der Republika Srpska verstärkt ihre separatistischen Bestrebungen, schwächt die staatlichen Institutionen und behindert den Weg in die EU.

Besonders alarmierend ist ein neues Gesetz, das NGOs verpflichtet, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, wenn sie Gelder aus dem Ausland erhalten. Politisches Engagement wird ihnen faktisch verboten. Dies ist ein direkter Angriff auf die Vereinigungs- und Meinungsfreiheit und auf zivilgesellschaftliches Engagement.

Trotz dieser Herausforderungen bleibt die Zivilgesellschaft aktiv und widerständig. Wir setzen uns weiterhin für Menschenrechte und Transparenz ein und appellieren an die internationale Gemeinschaft und lokale Institutionen, demokratische Werte zu stärken und der Erosion des zivilgesellschaftlichen Raums entgegenzuwirken.

Wie wirkt sich das auf eure Arbeit und Projekte aus?

Obwohl unsere Organisation Progres nicht direkt in der Republika Srpska tätig ist, arbeiten wir mit Partnern in der Region zusammen. Wir bilden Lehrkräfte in Traumapädagogik aus und unterstützen Jugendliche in ihrem Engagement für Dialog und Frieden.

Das Klima der Unsicherheit und des Drucks beeinflusst unsere Arbeit indirekt, aber spürbar. Die jüngsten Gesetzesinitiativen führen dazu, dass sich in der Zivilgesellschaft ein Gefühl der Angst und der Selbstzensur ausbreitet. Sollten sich die Entwicklungen weiter verschärfen, rechnen wir mit einem Rückgang der Teilnahme an unseren Programmen. Familien könnten sich unsicher fühlen, ihre Kinder an Angeboten teilnehmen zu lassen – vor allem, wenn diese mit sensiblen Themen arbeiten oder die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Teilen des Landes erfordern. Das gefährdet nicht nur unsere laufenden Projekte, sondern auch langfristige Bemühungen um eine friedlichere und stärker verbundene Gesellschaft.

Wie reagiert ihr in eurer Arbeit auf diese Herausforderungen?

Die Rolle der Zivilgesellschaft mag im Vergleich zur politischen Macht bescheiden erscheinen, aber sie ist wichtig, um den demokratischen Geist in Bosnien und Herzegowina lebendig zu halten. Wir setzen dort an, wo wir im vergangenen Jahr aufgehört haben: beim Wiederaufbau von Vertrauen. Als kleine Organisation können wir das Vertrauen in die Politik und die internationale Gemeinschaft nicht allein wiederherstellen. Aber wir können das Vertrauen zwischen den Menschen fördern. Wir müssen über schwierige Themen sprechen, auch über schmerzhafte Traumata der Vergangenheit, die wie dunkle Schatten über der Gegenwart liegen. Unsere Arbeit zielt darauf ab, dass Menschen gemeinsam über diese Themen sprechen und sich dem Schmerz der Vergangenheit stellen. Diese Gespräche und das gemeinsame Erleben haben eine heilende Wirkung. Sie helfen, aus den zerstörerischen Kreisläufen der Gewalt auszubrechen.

Wie wirkt sich die politische Lage auf die Finanzierung eurer Projekte aus?

Die zunehmende politische Instabilität in Bosnien und Herzegowina und die sich verändernden Prioritäten der internationalen Geldgeber haben die Finanzierung der Zivilgesellschaft unsicherer gemacht als je zuvor. Viele NGOs – auch wir – haben sich auf internationale Unterstützung verlassen, vor allem aus europäischen Ländern wie Deutschland. Doch Umstrukturierungen in der Entwicklungszusammenarbeit und politische Veränderungen in den Geberländern führen zunehmend zu Verzögerungen, Kürzungen oder gar Streichungen langjähriger Förderzusagen.

Für uns bedeutet das konkret, dass viele Projekte auf Eis liegen – zu einer Zeit, in der viele junge Menschen das Vertrauen in staatliche Institutionen verlieren und kaum Perspektiven für ihre Zukunft sehen. In den vergangenen Jahren haben wir zahlreiche Jugendliche dabei unterstützt, eigene Dialoginitiativen zu starten. Unsere Arbeit zielt nicht auf kurzfristige Erfolge, sondern auf den Aufbau von Hoffnung, Resilienz und Veränderung von unten. Dazu braucht unsere Zivilgesellschaft langfristige Partnerschaften. Ohne eine stabile Finanzierung können wir diese Arbeit nicht fortsetzen. In einer Gesellschaft, die noch immer mit den Folgen von Krieg und Spaltung zu kämpfen hat, ist es unerlässlich, dass die Stimmen der Jugend gehört und gefördert werden. Diese Generation braucht Perspektiven. Unser Angebot – Dialog und Frieden – muss stärker sein als der Ruf nach Spaltung.

Möchten Sie die Arbeit von Azra und ihrem Team unterstützen? Dann freuen wir uns über jede Form der Unterstützung – sei es durch Spenden oder einfach dadurch, dass Sie ihre Geschichte weitererzählen.

Mehr Informationen über unsere Arbeit in Bosnien und Herzegowina finden Sie hier.

Das Interview führte Friederike Regel.