Gegründet wurde unsere Organisation von Traumatherapeut und Diakon i.R. Peter Klentzan (links) und Regionalbischof Thomas Prieto Peral (rechts), die in diesem Interview von den Anfängen berichten und einen Blick in die Zukunft wagen.

Lieber Peter, lieber Thomas, Ihr habt die Arbeit von Wings of Hope von Anfang an begleitet. Wie hat das damals eigentlich angefangen?

Peter Klentzan: Ich hatte Anfang der 1990er Jahre im Anne-Frank-Haus in Amsterdam Bilder von bosnischen Kindern gesehen, die den Krieg erlebt haben. Ich habe damals als Diakon in der Versöhnungskirche in Dachau gearbeitet und habe dann eine ähnliche Ausstellung bei uns organisiert. Ein Mitglied unseres Kuratoriums – der Sohn eines ehemaligen KZ-Häftlings – sah die Bilder in der Gedenkstätte und schlug vor, dass wir unser Engagement für die Kinder des Krieges ausweiten.

Thomas Prieto-Peral: Ich war damals Referent im Referat für Ökumene in der Landeskirche und zuständig für die Gedenkstättenarbeit. Mir war es wichtig, nicht nur historisch rückwärts zu schauen, sondern zu überlegen: Was kann aus der Historie als Verantwortung ins Heute übernommen werden? Wie kann Friedensarbeit heute konkret aussehen? Wir wollten – aus unserer historischen Verantwortung des ‚Nie wieder Krieg‘ heraus – an der Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau etwas tun für die Opfer des Bosnienkrieges.

PK: Das Kuratorium der Versöhnungskirche hat daraufhin beschlossen, eine Organisation zu gründen. Wir nannten sie „Wings of Hope“. Der Name geht auf ein Kinderbild aus Sarajevo zurück, das mich damals sehr berührte: Ein kleines Mädchen hatte Schmetterlinge gemalt und sie nannte es „Schmetterlinge leben kurz“. Die Arbeit von Wings of Hope ist also schon älter als 20 Jahre, aber erst 2003 schlug Thomas vor, dem Ganzen eine Struktur zu geben und eine Stiftung zu gründen.

TPP: Das war formal der Anfang. Wichtig war aber vor allem unsere Motivation: Wir wollten eine Versöhnungsarbeit, die über die Kriegskonfrontation hinweg den Brückenbauern in Rücken stärkt. Das war am Anfang noch keine Traumaarbeit, ganz ursprünglich ging es uns um die Friedensarbeit. Das Thema Trauma kam erst Schritt für Schritt. Heute bin ich der Meinung, das ist genau die richtige Botschaft, die alle Beteiligten damals geahnt haben. Dass es nämlich in verhärteten Auseinandersetzungen den Brückenschlag braucht und die Suche nach dem Ursprung des Elends, nämlich dass Gewalt psychisch krank macht, dass sie traumatisiert. Und dass dadurch eine Spirale nach unten in Gang gesetzt wird, die durchbrochen werden muss, wo Heilung stattfinden muss. Wir sehen heute in Israel und Gaza oder auch anderswo, dass das genau der richtige Weg ist und dass es noch viel mehr davon bräuchte. Und das ist die Motivation, die mich getrieben hat und weiterhin treibt, diese großartige Arbeit von Wings of Hope vorwärtszubringen.

Gibt es etwas aus der Arbeit der vergangenen 20 Jahre, das Euch besonders in Erinnerung geblieben ist?

PK: Ein Highlight war das erste Jugendprojekt in Bosnien und Herzegowina, das wir zu Beginn der 2000er Jahre aufgebaut haben. Ich bin damals durch das Land gefahren und habe kritische junge Geister gesucht, die bereit waren, sich für Dialog und Versöhnung einzusetzen. Die mussten über ethnische und religiöse Grenzen hinweg zusammengebracht werden, was nicht einfach war. Dabei entstanden dann Gruppen, die sich jedes Jahr in Sommerlagern mit hunderten Jugendlichen getroffen haben. Damals haben wir angefangen, mit interreligiösen Impulsen zu arbeiten, wie sie heute noch auf der Sommerakademie in Ruhpolding umgesetzt werden. Das war das erste Mal, dass wir Trauma- und Friedenspädagogik zusammengebracht haben. Diese Begegnungen waren wirklich eindrucksvoll.

TPP: Das vielleicht größte Highlight für mich war unsere erste Reise in den Irak im Jahr 2004. Wir hatten uns schon mit der Stiftungsgründung 2003 vorgenommen, dass wir über Bosnien hinaus auch in andere Krisenregionen gehen. Also sind Peter und ich dann nach Bagdad aufgebrochen mit dem verwegenen Plan ein Jahr nach dem Irakkrieg in Bagdad ein Traumahilfezentrum aufzubauen. Die Reise war abenteuerlich. Wir sind nach Amman geflogen und hatten nur die Adresse einer Familie in der Tasche, die uns beherbergen würde. Dort würde uns jemand abholen und dann den weiten Weg nach Bagdad fahren. Wir sind nachts um zwei Uhr in Amman angekommen, mit irgendeinem Taxi in einen Vorort gebracht worden und dort sehr gastfreundlich empfangen worden.

Dann kam irgendwann vor dem Morgengrauen der Fahrer, mit dem wir uns dann auf dem Weg machten: erst 200 Kilometer bis zur irakischen Grenze und dann nochmal 500 Kilometer durch die irakische Wüste, bis wir in Bagdad ankamen. Das Traumahilfezentrum nahm dann wirklich seine Arbeit auf und war mehrere Jahre in Betrieb. Leider wurde die Einrichtung dann von Extremisten bedroht und wir mussten in den Nordirak umziehen. Aber diese Reise 2004 war für mich ein absolutes Highlight, weil wir damit Neuland betreten haben. Ich dachte damals: Hierin steckt ganz viel von der Idee von Wings of Hope.

Was würdet Ihr sagen, war die größte Herausforderung der vergangenen 20 Jahre?

PK: Für mich war die vielleicht größte Herausforderung, mich auf die Friedensarbeit in Israel und Palästina einzulassen. Ich komme ja aus der Arbeit in einer Gedenkstätte und aus der deutschen Verantwortung. In Israel ahnte ich, dass ich in innere Konflikte kommen werde und das war auch so. Ich habe dann versucht, aus dieser Herausforderung eine Chance zu machen. Ich habe gelernt, dass es in Konflikten zwischen zwei Gruppen immer Briefträger braucht, also Nachrichtenträger, die als Mittler dienen. Diese Rolle hat Wings of Hope eigentlich bis heute: Wir schaffen Räume, in denen Verständigung möglich ist. Das schafft die Verbindung zu Friedens- und Traumaarbeit.

TPP: Wir hatten von Anfang an so einen Anspruch, immer wieder Hoffnung und Kraft zu geben – also selbst die Stärkenden zu sein für die vielen Menschen, die Gewalt erlebt haben. Das hat uns teilweise selbst sehr ausgelaugt. Früher hatte ich manchmal den Eindruck, da ist ganz schön Erschöpfung im System. Das Team heute schafft es vielleicht besser, dafür zu sorgen, dass der Akku nicht leer wird. Das war ein Lernprozess.

Wie seht Ihr Wings of Hope jetzt und was wünscht Ihr der Organisation für die Zukunft?

PK: Ich betrachte die Arbeit von Wings of Hope ja von außen, aber ich finde Eure Arbeit weiterhin fantastisch. Ich habe die Arbeit damals eher aus dem Bauch heraus gemacht. Das war eine tolle Zeit und es konnten viele neue Dinge entstehen. Ihr habt die Arbeit professionalisiert und seid ein tolles Team – das merkt man und das finde ich toll!

TPP: Ich sehe Wings of Hope grundsätzlich sehr gut aufgestellt mit einem klaren Konzept und guter Führung. Ihr habt ein sehr gutes Team, das sich abstimmt, das eine verlässliche Arbeit macht, das Ideen entwickelt. Von daher bin ich sehr zuversichtlich über den Stand der Arbeit.

Ich sehe, dass der Bedarf an unserer Arbeit in der Welt exponentiell steigt – nur allein aus dem, was ich jetzt aus Israel höre. Ich rede noch gar nicht von den Palästinensern in der Westbank oder gar in Gaza. Was da an Bearbeitung von Traumafolgen nötig sein wird, ist unendlich viel Arbeit. Und das heißt, Wings of Hope wird noch mehr gebraucht werden, wird aber mit diesen Aufgaben auch wachsen müssen. Ich glaube, es braucht jetzt einen Plan, wie diese große Kompetenz und das Netzwerk von Wings of Hope noch mehr nutzbar gemacht werden kann. Ich finde den Schritt in die Ukraine jetzt genau richtig und das wird uns neue Türen öffnen. Wir können nicht die Welt retten, das wäre vermessen, aber wir können mit unserer Multiplikationsarbeit schon eine Menge Hebelwirkungen generieren. Und das würde ich mir wünschen für die nächsten 20 Jahre, den Mut hier auch größer zu denken und anzugehen, was im Moment in der Welt los ist. Wir können das.

Das Interview führte Friederike Regel.

Peter Klentzan ist Diakon i.R. und ausgebildeter Traumatherapeut, Lehrtherapeut und Supervisor. Er hat gemeinsam mit Thomas Prieto Peral Wings of Hope gegründet und leitete viele Jahre die In- und Auslandsarbeit der Stiftung.

Thomas Prieto Peral ist Regionalbischof der Evangelischen Kirche für München und Oberbayern und einer der zwei Gründer der Stiftung Wings of Hope. Er war viele Jahre Vorsitzender des Stiftungsvorstands. Thomas Prieto Peral ist evangelischer Pfarrer mit traumatherapeutischer Zusatzausbildung (zptn).